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Inhalt:
An diesem Mittwochmorgen wartet der Scheidungsrichter vergeblich auf Elisabeth und Phillip Kleist. Beide sind verhindert, denn sie wurden eingesperrt ... von ihrem eigenen Kindern!
  Der Zeitraum ist klar abgesteckt: Fünf Tage, die sie nutzen sollen, um endlich miteinander zu reden.
  Nicht nur für die Eltern werden diese fünf Tage unvergesslich. Auch für Jonas und Ronja beginnt eine Odysee - eine unerwartete Reise zum eigenen Ich, die sie für immer verändern wird ...


Leseprobe

Mittwochnachmittag
Philipp
Mittlerweile muss es nach zwölf sein, vielleicht auch schon später. Da wir hier weder eine Uhr noch Tages- oder sonst ein Licht haben, ist die Zeit schwer abzuschätzen. Auf jeden Fall haben wir unseren Gerichtstermin verpasst. Da bin ich mir sicher! Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt: dass ich hier gefangen bin oder dass es wieder zu keinem Ende kommt. Ich brauche ein Ende! Nun, nicht unbedingt ein Ende. Eher eine eindeutige Entscheidung. Entweder ein Ende oder einen Neuanfang. Nicht dieses Dazwischen. Die Verlogenheit des letzten Jahres vor der Trennung – unsere Ehe war nur noch eine Farce. Und dann dieses endlos lange Trennungsjahr! Ich will endlich weiterleben. Überhaupt wieder leben. Einfach ein normales Leben führen. Und trotz allem am liebsten mit Elli! Aber sie will nicht. Ich kann ihre Feindseligkeit spüren. Sie will die Trennung unbedingt. Aber sie hat die Rechnung ohne die Kinder gemacht. Wir beide haben die Rechnung ohne die Kinder gemacht. Sie haben unseren ganzen Mist abbekommen und wollen nicht so einfach aufgeben. Dafür bewundere ich sie. Aber das werde ich ihnen wahrscheinlich nie gestehen. An Selbstbewusstsein fehlt es ihnen jedenfalls nicht. »Wir haben zumindest nicht alles falsch gemacht.«  

Elli
Falsch gemacht? Was faselt er da von wegen „falsch gemacht“? Ein Wunder, dass er überhaupt den Mund aufbekommt. Seit wir hier eingesperrt sind, hat er noch nicht ein vernünftiges Wort von sich gegeben, aber das habe ich auch nicht von ihm erwartet. »Was meinst du mit ‚falsch gemacht‘?«, rutscht es mir unvermittelt heraus. »Unsere Kinder …« Jetzt verstehe ich. »Mhm.« Nein, bei unseren Kindern ist erstaunlicherweise wenig schief gelaufen, obwohl Ronja mit 16 schwanger wurde, aber das ist schon anderen passiert, und was interessiert mich das Gerede der Leute, ich hab andere Probleme. Ronja ist ein prima Mädchen, sie hat nur Pech gehabt. Ich hoffe, sie weiß das. Bei ihr habe ich sicher nichts falsch gemacht. Und Jonas? Er hat sich bis heute noch nie etwas zuschulden kommen lassen. Nein, Jonas ist kein Junge, der einem den Schlaf raubt, keine Drogen, kein Alkohol, er raucht nicht einmal. Jonas ist beinahe unheimlich normal. Die Mädchen in seinem Alter finden das vielleicht langweilig, aber ich als seine Mutter bin froh darüber. Und Lilli? Jeder liebt unseren kleinen Wildfang. Ich frag mich, ob sie überhaupt darüber Bescheid weiß, dass wir hier unten sind? Mein Gott … „Unseren“ Wildfang – jetzt hab ich das Wort doch wieder benutzt, dabei hab ich mir geschworen, dass es kein „uns“ mehr geben wird. Das muss wohl an Philipps Nähe liegen. Falsch gemacht habe ich nur eins: Ich hab den falschen Mann geheiratet! Wer heiratet auch schon mit 19 Jahren? Tante Sophie hatte immer schon gesagt, ich solle mit ihm erstmal eine Weile zusammenleben, mich austoben und könne ihn dann, wenn die Liebe gar so heftig wäre, später immer noch heiraten. Tante Sophie, meine Seelenverwandte, schade, dass sie nicht mehr hier lebt! Aber nicht nur sie war dagegen. Alle haben mich gewarnt, allen voran meine Mutter, doch das war nicht anders zu erwarten, schließlich war ihr nie einer gut genug! Mutter, wenn du erfährst, dass ich hier eingesperrt bin, flippst du todsicher aus! Auch meine beste Freundin Petra hat mich vor ihm gewarnt, aber da ich wusste, dass sie selbst in Phillip verliebt war, hab ich sie nicht ernst genommen. Und jetzt? Jetzt bin ich hier eingesperrt mit diesem Mann, der mich betrogen und zutiefst verletzt hat. Danke Jonas, herzlichen Dank!   Verdammt, der Gerichtstermin ist sicher vorüber. Großartig! Jetzt werden wieder ein paar Wochen, wenn nicht Monate vergehen, bis ich ihn endlich los bin!  

Ronja
Es ist so verdächtig ruhig dort unten. Inzwischen haben sie es aufgegeben, um Hilfe zu rufen. Papa hat eine ganze Weile mit den Fäusten an die Tür und das Metallgitter am Kellerfenster gehämmert, was völlig untypisch für ihn ist. Normalerweise ist er die Ruhe in Person. Mamas grelle Stimme konnte man eine geschlagene Stunde lang bis hier oben hören, im Garten jedoch gar nicht. Ich denke, dass sie weder auf der Straße noch bei den Nachbarn zu hören sind. Jetzt rächt es sich für sie, dass sie unbedingt ein freistehendes Haus kaufen mussten. Zumindest waren sie sich beim Kauf darüber einig, so kann jetzt keiner dem anderen die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Darin waren sie zuletzt echt supergut. Der Keller ist aus Beton, sagt Jonas jedenfalls, und der Heizungsraum hat nur ein Lüftungsrohr und ein kleines vergittertes Fenster. Davor hat Jonas von außen jede Menge Holz gestapelt, um es abzudunkeln. Und diese Hausseite zeigt zu Nachbars Scheune hin, die auf der Giebelseite keine Fenster hat. Dass sie da unten jetzt kein Tageslicht haben, tut mir schon leid, aber sie haben es nicht anders verdient! Sie hatten zuletzt nur noch sich und ihre Probleme im Kopf und haben uns glatt übersehen! Ich weiß auch nicht, ob es das Richtige ist und ob wir damit überhaupt etwas bewirken. Ein wenig hab ich schon Schiss. Aber zumindest sollen sie erkennen, dass wir uns nicht alles einfach so gefallen lassen. Warum wollen sie sich gerade jetzt trennen, wo ich sie beide doch so dringend brauche! Gut, sie haben mir versprochen, dass sie für mich da sein werden – natürlich jeder für sich und auch erst, als sie mit mir alleine waren, damit ich mich für einen von ihnen entscheide. Das glaube ich ihnen auch, ich meine, das mit dem Für-mich-da-Sein und so. Aber wie soll das funzen, wenn wir keine Familie mehr sind? Immer diese Machtkämpfe um mehr Anerkennung! Hey, ihr beiden – das ist mir zu blöd! Ich bin auf keiner Seite. Wann kapiert ihr das endlich? Am liebsten würde ich jetzt ’ne Zigarette rauchen! Scheiß Schwangerschaft!  

Jonas
Ob sie schon die Taschenlampe, das Essen und die anderen Sachen gefunden haben? Bei dem bisschen Licht, das der Holzstapel durchlässt, sehen sie sicher die Hand vor Augen nicht. Die Glühbirne herauszuschrauben, war schon krass, aber ich will, dass sie sich miteinander auseinandersetzen. Vielleicht bringt es ja was, wenn sie sich versehentlich berühren und dadurch vielleicht alte Gefühle wecken oder so ... Körperlicher Kontakt ist anscheinend wichtig, um alte Instinkte aufleben zu lassen, Erinnerungen werden wach und all diese Dinge. Hab ich in ’nem Psychologie-Heft gelesen, nicht, dass ich die Dinger studiert hätte, bin eher zufällig darauf gestoßen. Teufel auch, alles ist gut, was hier irgendwie weiterhilft! Ich hoffe, die Lebensmittel reichen aus, ehe …, na ja, ehe wir sie wieder herauslassen müssen. Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob das Ganze nicht doch ein Fehler war. Aber sie sollen ruhig einmal spüren, dass wir nicht nur dumm zuschauen und warten, bis sie sich und uns trennen oder aufteilen oder was auch immer. Am Ende wohnen sie in verschiedenen Städten und wir können hin und herpendeln, um uns zu sehen. Ich hab noch keine Lust, auszuziehen, ich bin ja erst 17, noch zwei Jahre in Ausbildung, und Ronja, die will gerade jetzt sicher auch nicht so schnell ihre Umgebung und die Freunde aufgeben. Mit ihrem besonderen Problem hat sie eh den Hauptgewinn gezogen. Ronja ist nicht Wohl bei der Sache, aber sie gibt sich ganz taff. Ja und Lilli, ich seh sie schon ihren Rucksack für die Wochenenden packen. Sicher stopft sie ihn randvoll mit Spielsachen und leidet bei der Entscheidung, was sie mitnehmen oder dalassen soll. Sie braucht immer all ihre Sachen um sich herum. Frag mich immer wieder, ob die Trennung nicht doch das Beste wäre, wie Mama es immer behauptet. Hab darüber auch mal was gelesen. Seit Mama und Papa getrennt leben, lese ich alles zum Thema Scheidung. Aber irgendwie kann ich mit all den Weisheiten für sie nicht viel anfangen, also, für Mama und Papa. Schon was die Trennung angeht, sind sie sich ja eh nicht einig. Papa will sich gar nicht trennen. Und Mama? Sie schon, aber ich denke, sie irrt sich. Überall hört man, dass die Eheleute heutzutage zu schnell aufgeben. Es gibt allerhand Studien darüber. Die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen macht Trennungen offenbar viel leichter als früher, was in bestimmten Fällen ja auch wichtig ist. Es gibt genug Kotzbrocken von Ehemännern, die ihre Frauen schlagen oder andere schlimme Dinge tun. Aber Papa ist nicht so einer, auch wenn er einen Fehler gemacht hat. Die Leute wollen einfach nicht mehr kämpfen! Mama wenigstens, und Papa, ja der hat sich im letzten Jahr auch kein Bein rausgerissen, um Mama umzustimmen! Glaub ich zumindest. Jetzt sitzen sie da unten fest! Wir werden die Sache schon schaukeln – irgendwie. Natürlich nervt mich Lilli dauernd mit ihrem »Jonas, was ist dies?« und »Jonas, was ist das?« oder »Jonas, spielst du mit mir?« oder »›Jonas, liest du mir noch vor?«, wo sie doch selbst schon gut lesen kann. Aber ich will nicht, dass sie am Ende bei Mama oder Papa lebt und ich sie womöglich nur noch ab und zu sehe. Das wäre dann wie in diesen Kitschfilmen, bei denen am Ende alles Friede, Freude, Eierkuchen ist! Absolut verlogen! Eine Trennung als Kind mitzuerleben, ist beschissen! Ich kenn das von Paul und auch von Melina. Außerdem: Sind die Partner erst einmal getrennt, dann werden sie kaum noch Kontakt halten. Wenn sie Lilli dann bringen oder abholen, werden sie dazu bald nicht mal mehr aus dem Auto aussteigen. Ich seh’s schon deutlich vor mir. Erst die Trennung auf dem Papier und dann im Leben! Ich will nicht, dass sich etwas ändert, und wenn sie sich noch so sehr anöden. Ich komme mit Mama klar und mit Papa auch. Teufel auch! Früher sind die beiden doch auch miteinander klargekommen! Was haben die zwei manchmal gelacht und sich verliebt angesehen … Das kann doch nicht alles verloren sein! Alles kann wieder gut werden! Das werden sie schon sehn! Verdammt, mein Handy. Muss es jetzt endlich ausschalten! Den ganzen Morgen will ich das schon und vergesse es ständig. Gut, ich hab meinen Kumpels gesagt, ich wäre bis Montag nicht erreichbar, aber im Handyzeitalter ist das manchem schnurz und bis Montag ist ’ne lange Zeit.