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Inhalt:

Beim Umbau eines alten Gebäudes in Karlsruhe legen zwei Freunde ein Tor frei, dessen Aufschrift "Zeitentor" sie zunächst nur schmuzeln lässt ...

Leseprobe:

Nemo erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen, die sich
jedoch rasch auf ein erträgliches Maß verringerten. Er lag
mit gestreckten Gliedmaßen auf einem harten Untergrund;
etwas Schweres drückte unangenehm auf seine Brust und die Oberschenkel.
Das Nächste was er wahrnahm, war ein brennender
Durst. Von Müdigkeit gelähmt, hob er die bleiernen Augenlieder
und fand die Umgebung in Dämmerlicht getaucht.
  Instinktiv tastete er die Umgebung ab, fand einen ovalen Gegenstand
und identifizierte ihn als sein Mediatron. Das leuchtende Display
lag zur Bodenseite hin. Wie alles um ihn herum war auch das
Mediatron von einer dünnen Staubschicht bedeckt. Als er es in die
Hand nahm, blendete ihn sofort das Licht des Displays. Er drehte
es weg und leuchtete die nähere Umgebung aus. Die Nacht verschlang
die schwache Leuchtkraft, sodass er nicht wirklich viel erkennen
konnte.
  Kraftlos hob er den Kopf und sah sich genauer um. Allmählich
gewöhnte er sich an die Dunkelheit. Es waren die Beine einer Frau,
deren Gewicht auf seinen Körper drückte. Sie lag, das Gesicht von
ihm abgewandt, in einem 90 Grad Winkel zu ihm, ebenso rücklings
auf dem Boden. Nemo erkannte Veela nicht.
  Nemo erinnerte sich nicht die Spur an das, was geschehen war.
Er fragte sich wer die Frau war und wie sie beide hierhergekommen
waren. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf eine letzte
Erinnerung, doch seine Gedanken ließen ihn völlig im Stich.
  »Hey, wach auf!« Er rüttelte mit der freien Hand an Veelas Arm,
doch sie regte sich nicht. Kraftlos schob er ihre Beine von seinem
Körper herunter und schlüpfte dabei unter ihr hervor. Er kniete sich
über sie, leuchtete ihr direkt ins Gesicht, fand keine Verletzungen;
einzig grauer Staub beflecke ihre markelose Haut. Er hielt sein Ohr
über ihren kleinen Mund, ein schwaches Atmen war zu hören. Ihr
Gesicht wirkte entspannt und ihr Brustkorb hob und senkte sich
gleichmäßig. Sie schlief tief und fest. Ein weiterer Versuch sie wachzurütteln
scheiterte. Er fragte sich, wer sie wohl war.
  Nemo stand auf und beäugte das Umfeld. Sie befanden sich in
einem großen Raum. Unweit ihrer Position lagen duzende dunkelbraune
Holzklappstühle wahllos auf einem Haufen, als hätte sie jemand
aufgetürmt, um ein gigantisches Feuer zu entfachen. In der
gegenüberliegenden Richtung, die einzige Raumseite ohne Fenster,
befand sich ein Absatz von ca. vierzig Zentimetern Höhe, ein Podium,
der Fläche nach, eine kleine Bühne. Ansonsten fehlte jegliches
Mobiliar. Das musste einmal ein Veranstaltungsort gewesen
sein, eine kleine Stadthalle oder ein Theater, dachte Nemo. Die
schwarzen Vorhänge, die stellenweiße noch verschlissen und zerrissen
vor den raumhohen Fenstern hingen, sowie einige ramponierte
Scheinwerfer, auf einer Traverse an der Decke hängend, die
zum Podium hin ausgerichtet waren, bekräftigten seinen Verdacht.
Die meisten Scheiben der hohen Fenster waren zertrümmert und
Glassplitter lagen weit in den Raum hinein verstreut. Sicher waren
die Scheiben von außen eingeschlagen worden. Die Decke war bunt
bemalt – ein futuristisches Bild einer blau leuchtenden Galaxie. Der
Spiralnebel nahm Nemo einen Moment lang in seinen Bann.
  Auffallend war eine seltsam gemusterte Tür, die im Gegensatz zu
den Wänden und der Fensterbuchten, keinerlei Spuren von Staub
und Spinnweben aufwies.
  Nemo wusste nicht wie lange er mit offenem Mund im Raum
stand und darauf gestiert hatte. Es war das Krächzen der Frau, das
ihn aus der Starre riss.
  »Wo bin ich?« Veelas Kehle war trocken und das Sprechen tat
weh. Kraftlos richtete sie sich auf. Nemo ging rasch zu ihr und
stütze sie, bis sie sich alleine auf den Beinen halten konnte.
  »Das habe ich mich auch gefragt«, murmelte er kopfschüttelnd.
  »Ich bin definitiv zu hart auf den Boden aufgeschlagen«, raunte
Veela, tastete instinktiv den Kopf nach einer Beule ab und fand sie.
  »Aua.«
  »Bist du in Ordnung? Ich meine außer der Beule?«
  »Ja, sicher. Ist noch alles dran.« Veela versuchte den fremden
Mann besser zu sehen, griff nach dem Mediatron in seinen Händen
und richtete den Lichtstrahl auf sein Gesicht. »Kennen wir uns?«
Nemo zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe gehofft,
dass du mich kennst ...?«
  Veela musterte ihn, verbissen nach einer Erinnerung suchend,
und schüttelte schließlich den Kopf. »Das wüsste ich.«
  »War das jetzt positiv oder negativ gemeint«, fragte Nemo leichthin.
Veela ging nicht darauf ein.
  »Sieh dich mal um. Erkennst du irgendetwas?«
Veela hob ihren linken Arm in die Waagerechte und nuschelte
ungeduldig »Media-Licht«. Der gebündelte Lichtkegel ihres Miniaturmediatrons,
das sie am Handgelenk trug, wanderte fortan unruhig
umher und kreuzte manchmal Nemos schwachen Schein.
  »Außer den Stühlen gibt es hier keine Möbel und die Fensterscheiben
sind zum Großteil eingeschlagen. Das Haus steht sicher
schon lange leer. Außerdem frage ich mich, weshalb ich eine Jacke
mit Wärmepolster trage, es ist warm wie im Hochsommer.«
  »Wärmepolster …?«
Nemo zuckte die Schultern. »Nicht so wichtig. Die Frage ist doch
wohl die: Wie sind wir hierhergekommen? Blackout durch Alkohol?
Drogen? Wurden wir verschleppt?«
  Veela zuckte die Schultern. Natürlich machte das alles keinen
Sinn. Tatsächlich erinnerte sie sich an nichts mehr, noch nicht einmal
an ihren eigenen Namen. Die Erkenntnis traf sie wie ein Faustschlag
in den Magen. Was hatte man ihr verabreicht? Sie betrachtete
skeptisch ihren Begleiter. Wer war dieser Mann? Streckte er hinter
all dem? Nein, er wirkte selbst ein wenig verzweifelt. Trotz all dem
Schmutz auf seinen Kleidern war er definitiv attraktiv und ein Typ
mit dem sie losgezogen wäre, um sich zu amüsieren. Hatte sie ihn
verführt oder er sie?
  Nemo ging zum Türblatt des Zeitentors und betrachtete sich den
Schriftzug genauer. »ZEITENTOR«, las er laut, als wolle er sie damit
aus der Reserve locken, und leuchtete auf den Boden davor. Der
Staub war Stellenweise weg, gerade so als hätte jemand die Tür geöffnet
und der Wind hätte in den Raum hinein geweht. Die einzige
andere staubfreie Fläche war die, wo sie gelegen hatten. Zur Gebäudetür
in der Ecke hin, waren keinerlei Fußspuren zu erkennen.
  »Hast du das gesehen?«
  Veela ging zu ihm, hielt jedoch ausreichend Abstand.
  »Es könnte doch sein, dass …« Er leuchtete auf den Schriftzug,
beließ es jedoch bei der Andeutung. Es war einfach zu absurd!
  »Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir …« Sie lachte laut.
  »Ich glaube, du bist derjenige, der zu hart auf den Boden aufgeschlagen
ist! Ein Zeitentor … Bitte!«
  »Gut, nehmen wir an, es ist kein ... sagen wir mal "Tor" ... in eine
andere Zeit, durch das wir, wer weiß „wann“ hin gelangt sind. Wie
erklärst du dir dann das?« Nemo zeigte ihr das Display seines Mediatrons.
  »Keine Zeitangabe. Das lässt mich vermuten, dass wir in
der Vergangenheit sind. Zumindest in meiner Vergangenheit oder
in einer weit entfernten Zukunft. Das Gerät findet keine Meldequelle,
weil es auf dieser speziellen Frequenz noch keine gibt oder
keine mehr gibt.«
  Veela schaute auf ihr Mediatron und schüttelte ungläubig den
Kopf. Die Datumsleiste zeigte KEINE DATEN VORHANDEN an.
Kein Jahr, kein Tag, keine Uhrzeit – nichts. Wann auch immer sie
gestrandet waren, davon ausgegangen die Theorie des brünetten
Mannes mit dem unrasierten Gesicht stimmte, es war sicher nicht
die nahe Zukunft.
  »Meins zeigt auch nichts an! Das ist allerdings …«
  »…seltsam. Ja, ist es.«