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Inhalt:
  
Die Baikate“ ist eine Art Aussiedlerhof und der etwas mystisch anheimelnde Wohnort der Schusters. Der dritte Roman der Kuss-Trilogie erzählt den Beginn der Familie Schuster auf der Baikate und beantwortet gleichsam die Frage, weshalb alle Schuster-Frauen zunächst unglücklich verliebt sind …

Leseprobe:

‚1692 – Den Tod vor Augen‘

Der Feind befand ich auf allen Seiten. Die Schlacht wütete wo immer man hinsah. Velten verschanzte sich in einer Bodenmulde und presste die Augen zu. Pausenlos peitschten Gewehrkugeln über ihn hinweg und ließen ihm keine Möglichkeit aus dem Loch zu kriechen. Sein linkes Bein blutete immer noch recht stark vom Streifschuss, welchen er am Morgen, gleich zu Beginn des Kampfes abbekommen hatte. Er hatte das Schienbein mit seinem Taschentuch fest verbunden um die Blutung zu stillen. Aber seither humpelte er und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Seine Kameraden waren weit zerstreut und was mit einem disziplinierten Aufmarsch begonnen hatte, war zunehmend zu einem völligen Chaos auf beiden Seiten geworden. Der Kampf hatte sich vom offenen Feld in den Wald verlagert und dunkle Rauchschwaden verschleierten die Sicht. 
    Vor Minuten hatte Velten mit ansehen müssen, wie ein junger Bursche vom eigenen Mann erschossen wurde. Der Schütze hatte unweit von ihm in einer ähnlichen Mulde gelegen und vor Angst gezittert. Als sich dann etwas bewegte hatte er laut geschrien und einfach darauf los geschossen. Velten würde diesen Gesichtsausdruck nie vergessen. Ein einfacher Mann, wie er, der vielleicht Schneider, Schmied oder Bauer war und gerade einen ebenso einfachen Mann aus purer Angst erschossen hatte. Einen Moment lag der Mann wie apathisch im Graben und wackelte vor so Zittern, dass man es sehen konnte, die Waffe fest umklammert. Was suchten sie alle hier? Kanonenfutter für die großen Pläne der Obigen. 
   Als dem Kameraden sein Fehler bewusst wurde, hatte er das Erdloch verlassen und war panisch schreiend davongerannt. Wenig später hatte Velten einen Schuss gehört und der Schrei war abrupt abgestorben. Sicher wollte dieser Fremde ebenso wenig hier sein, wie Velten. Und sicher wollte er auch nicht jung in einem sinnlosen Kampf sterben. 
   Die Schüsse wurde weniger und erst jetzt bemerkte Velten, dass ihm das Ohr zugefahren war und er im Grunde alles nur gedämpft hörte. Er wagte einen Blick aus dem Erloch und sah hier und da noch andere Köpfe, die neugierig aufschauten. Junge Gesichter, wie seines von Ruß und Dreck geschwärzt, ängstlich und den Tod vor Augen.
    Plötzlich hörte man Stimmen, eine fremde Sprache und als das Geäst knirschte, duckten sich alle wieder. Alle, bis auf Velten, dessen Mulde sich hinter einem immergrünen Busch befand und somit recht gut geschützt war.
    Ein Mann stolperte auf ihn zu. Es war ihr Heerführer Siegbert von Mären, gefolgt von fünf Soldaten des Feindes. Sie schupsten ihn immer wieder hart mit ihren Gewehrkolben an. Wie konnte das nur geschehen? Es gab Regeln, die kannte sogar ein Schuster wie Velten. Und wie sie mit dem Feldherrn umgingen, war Respektlos und unwürdig seiner Position.
    Die Gruppe marschierte direkt an seinem Versteck vorbei und Velten konnte die Unruhe im Gesicht von Siegbert von Mären sehen. Velten hatte ihn bisher zwei Mal aus nächster Nähe gesehen und immer wegen seines selbstbewussten, siegessichern Auftretens bewundert. Doch davon war momentan nichts zu sehen. Es schien als ahne er, dass die Soldaten nichts von Ehre und Kriegsabkommen hielten.
    »Arrêtez-vous!«, rief der Mann, der hinter allen andern herlief. »Là-bas!« Er deutete mit dem Gewehrlauf zu einem alten Baum. Die Männer packten von Mären grob an den Armen und zerrten ihn zur dicken Fichte.
    Velten verstand weniger die Sprache als ihre Bedeutung. Er glaubte nicht, was sich vor seinen Augen abspielte. Die Franzosen wollten den Heerführer standrechtlich erschießen. Impulsiv stand er auf und legte sein Gewehr in Anschlag. Als er jedoch die vielen Männer mit ihren entschlossenen Gesichtern sah und ihm seine Aussichtslosigkeit bewusst wurde, ließ er sich schnell wieder ins Loch fallen. Keiner der Kameraden hatte sich gerührt oder machte Anstallten von Mären zu retten, wieso sollte er es tun? 
    Einer der gegnerischen Soldaten bemerkte das Rascheln hinter Veltins Busch und blickte kurz wachsam in die Richtung. 
    »Attention. Mettre son fusil en joue!«, zischte der Anführer und hob den Säbel. Die Soldaten gingen in Stellung. Zwei stehend und zwei davor kniend. Siegbert van Mären schien sich seinem Schicksal zu ergeben. Mit stolz geblähter Brust sah er seinen Mördern in die Augen.
    Velten bekam Panik. Einerseits hatte er Angst, sich auch nur zu bewegen, zum anderen hasste er es, hier seelenruhig zuzuschauen, wo doch genug Kameraden versteckt lagen. Ausschlaggebend für sein Handeln war wohl die Tatsache, dass ihm Siegbert imponierte.
    »À mon signal!«, rief der Anführer. Die Soldaten spannten den Hahn und nahmen ihr Opfer ins Visier. 
   Zitternd und bebend stand Velten erneut auf. Seine Füße schlotterten als er das Gewehr anlegte und der Angstschweiß rann ihm in die Augen, was brannte und die Sicht vernebelte. Er war nie ein besonders guter Schütze, wollte nie einer werden, wie er auch nie in den Krieg wollte. Aber noch bevor der Anführer ‚Feuer’ rufen konnte, zog er den Abzugs und rannte nach dem Schuss sogleich brüllend aus seinem Versteck, zog sein Messer und rammte es dem Ersten, der auf ihn zukam in den Magen. Nur beiläufig sah er, dass er den zwei stehenden Soldaten die Gesichter weggeschossen hatte. Der Dritte sackte unter seinen Händen zusammen. Velten sah sich im Blutrausch nach den anderen zwei um. Als er sich umwandte, sah er nur noch einen Gewehrkolben auf sich zukommen. Seine Wangenknochen krachten und seine Haut platze an mehren Stellen im Gesicht auf. Mit dem unverletzten Auge sah er im Moment noch, wie der vierte Soldat seine Waffe auf ihn anlegte. Ein Schuss fiel, sein rechtes Bein wurde weggerissen. Dann sank er, wohl hervorgerufen durch den Schlag mit dem Kolben, in eine rettende Ohnmacht.